Wie ich wegen meinen Aktfotos gefeuert wurde

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Aktfotografie ist derart beliebt, dass man sich fragt, warum es nicht noch viel mehr Leute gibt, die in diesem Bereich arbeiten. Welche Schwierigkeiten stehen denn im Wege?
Eine Reihe von Gründen kommt als Antwort in Frage: Anschaffung und vor allem Beherrschung der richtigen Ausrüstung, Umgang mit Kamera, Objektiven und Licht, ausfindig machen geeigneter Modelle, Kommunikation mit denselbigen, Ideen für Posen, überhaupt Ideen für Shootings, ein Auge für Komposition, Suchen und Finden fotogener Locations, an denen man mit einem nackten Modell überhaupt arbeiten kann, solide Photoshop-Kenntnisse, sehr viel Zeit ... und dergleichen mehr.
Aus meiner Sicht ist aber etwas anderes die grösse Schwierigkeit bei der Aktfotografie, etwas, das wir noch gar nicht erwähnt haben: der Umgang mit der Diskriminierung.
Als Aktfotograf muss man ständig kleinere und grössere Benachteiligungen in Kauf nehmen, man ist immer wieder mit Vorurteilen und mit Ablehnung konfrontiert. Meine extremste Erfahrung in dieser Hinsicht ist wohl, dass ich vor zwei Wochen von meinem Job als "Abfalllehrer" gefeuert wurde.

Hier die Kurzfassung: Fotografie ist zwar meine wichtigste Beschäftigung, aber ich verdiene damit bis jetzt kein Geld. Meinen Lebensunterhalt und meine Kunst finanziere ich mit verschiedenen Jobs, davon ist meine Arbeit als Umweltpsychologe meine wichtigste Einnahmequelle. In diesem Rahmen habe ich auch als "Abfalllehrer" für die Umweltschutzgesellschaft PUSCH (Praktischer Umweltschutz Schweiz, www.pusch.ch) gearbeitet. Während vier Jahren habe ich rund 200 Schulbesuche abgestattet und dabei Dinge unterrichtet wie korrekte Abfalltrennung, die Wichtigkeit von Recycling, bewusster Konsum - eigentlich alles, was ins Kapitel "Sorge tragen zum Planeten" fällt. Ich habe meine Arbeit gut und gerne gemacht und mich für PUSCH engagiert.
Es gibt aber etwas, das mir noch mehr am Herzen liegt als ein verantwortungsvoller Umgang mit dem Planeten und das ist ein verantwortungsvoller Umgang mit der Sexualität. Und genau hier liegt das Problem. Die Leute von der Geschäftsleitung bei PUSCH hatten nämlich Angst, es könnte plötzlich negative Schlagzeilen geben, wenn sie einen Lehrer beschäftigen, der eine Webseite als Aktfotograf betreibt, weshalb ich schliesslich die Kündigung erhiehlt und mit sofortiger Wirkung frei gestellt wurde. Aber auch meine sexuallwissenschaftlichen Essays, die unter www.sex.stgr.ch
zu finden sind, wurden offenbar als anstössig empfunden.

Ich selber bin bei aller Sympathie für PUSCH mit diesem Entscheid überhaupt nicht einverstanden, und das habe ich auch so kommuniziert. Problematisch im Vorgehen von PUSCH ist nicht nur die Kündigung, welche aus meiner Sicht eine sexuelle Diskriminierung mir gegenüber darstellt, sondern auch das unglückliche Zeichen, das von diesem Entscheid ausgeht. Was sendet das für ein Signal an meine ehemaligen Schüler, wenn sie hören, dass ihr Abfalllehrer entlassen wurde, weil er Aktbilder macht und sich offen mit Sexualität auseinandersetzt?
Einen unbefangenen und verantwortungsvollen Umgang mit Sexualität lehrt es jedenfalls kaum.
Viel eher signalisiert es, dass man Angst haben muss, über Sexualität zu sprechen. Was nur ist aus "Let's talk about Sex" geworden?
Aus Sicht der Jugendlichen wirkt es läppisch, wie einerseits Erotik in den Medien allgegenwärtig ist, und wie andererseits die Erwachsenen davor zittern, darüber zu sprechen. Das weiss ich aus meiner therapeutischen Arbeit an der Erziehungsberatung während meinem Studium.
Und wie oft wird beklagt, dass es zuwenig männliche Lehrkräfte gibt, aber wen wundert's, wenn von Lehrern erwartet wird, dass sie sich nicht nur in- sondern gerade auch ausserhalb der Schule stets als asexuelles Wesen zu präsentieren haben? Das ist erniedrigend und macht den Beruf für Männer nicht gerade attraktiv.

Ich habe mich in meinem Leben schon mit sehr vielen Akt-Modellen und Akt-Fotografen gesprochen, und jede und jeder von uns hat schmerzhafte Erfahrungen gemacht mit der gesellschaftlichen Intoleranz. Es ist, als ob die Leute zu einem sagen würden: "Du machst Aktbilder? Pfui, pfui, pfui! … kann ich die Bilder mit nach Hause nehmen?"
Überraschend ist diese Doppelmoral freilich nicht. Die Gesellschaft tut sich mit allen Aspekten der Sexualität schwer, die nicht im Dienste einer geordneten Fortpflanzung stehen. Das ist normal. Darunter müssen die Schwulen, die Lesben, die Bisexuellen, die SM-Leute, und – soweit Aktfotografie mit Erotik zu tun hat – eben auch die Leute aus diesem Bereich leiden.

In der Schweiz und anderen westlichen Ländern ist es vor allem den Schwulen vorbildich gelungen, sich ein Stück weit zu emanzipieren. Davon können die Leute aus der Akt-Szene nur träumen.
Wenn ich damals vor meine Freunde und vor meine Familie hingestanden wäre, und gesagt hätte: "Liebe Leute, ich muss euch etwas beichten, ich bin nämlich schwul, ich stehe auf Männer!" – dann hätten alle (vielleicht mit Ausnahme meiner Grossmutter) gesagt: "Und wo ist das Problem?"
Niemand hätte gesagt: "Ich bin total enttäsucht von dir!" oder "ich kann ihm nicht mehr in die Augen sehen!"
Aber wenn man hingeht und sagt, "ich liebe erotische Fotografie, ich stehe auf Frauen!", dann scheinen die Leute ihre Manieren zu vergessen.
Aus diesem Grund arbeiten in der Schweiz praktisch alle unter falschem Namen, und die Modelle  trauen sich nicht, auf den Fotos ihr Gesicht zu zeigen. Man sieht das bei so vielen Leuten, diese Heimlichkeit, diese Schuldgefühle, diese Angst, den Partner, die Familie oder die Stelle zu verlieren, wenn jemand heraus findet, welches Eigenleben die eigene Sexualität führt. Es ist, als ob die Leute in einem Boot sitzen und alle eine Maske tragen, und wenn einer seine Maske herunter nimmt, dann wird er von den anderen über Bord geworfen. Aber wer hat etwas davon?

Der Umgang mit der alltäglichen Diskriminierung – das also ist aus meiner Sicht das Schwierigste an der Aktfotografie. Nicht wenige Psychologen glauben, dass die Erotik die verletzlichste Stelle jedes Menschen ist, und als Erotik-Fotograf muss man den Nerv haben, diese Stelle ständig zu exponieren, obschon man schon im Voraus weiss, dass von verschiedenen Seiten darauf geschossen werden wird.
Nun, ich bin Künstler und ich habe in meinem Leben von zwei Wegen immer denjenigen gewählt, vor dem ich mehr Angst hatte – ein Vorgehen, das ich übrigens allen empfehlen kann, die sich mit ihren Ängsten auseinandersetzen wollen. Es ist immer wieder faszinierend zu erleben, was dabei heraus kommt.
Die Kündigung hat für mich nämlich nicht nur Nachteile. Da sie nicht vertragsgemäss erfolgte, muss mir PUSCH jetzt einen Jahresgehalt an Entschädigung zahlen. Somit steht mir wieder mehr Zeit für die Kunst zur Verfügung …

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